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Veröffentlicht am 25.01.2020
Erna de Vries mit einer Schülerin der Oberschule Artland, die ihr die Hand drückt

Schüler zu Zeitzeugen machen

24. Januar 2020
Die Holocaust-Überlebende Erna de Fries aus Lathen (Emsland) an der Oberschule Artland

Atemlose Stille herrschte in der Oberschule Artland als 200 Schülerinnen und Schüler dem Bericht von Erna de Vries über ihre Erlebnisse im Dritten Reich zuhörten.

Erna de Vries wird 1923 in Kaiserlautern geboren. Ihr Vater ist Christ und ihre Mutter Jüdin. Nach dem frühen Tod des Vaters erleben Mutter und Tochter die Ausgrenzung von jüdischen Menschen im Dritten Reich.

Erna de Vries berichtet, dass sie bereits früh gewusst habe, dass sie eines Tages deportiert werden würde. Als im Juli 1943 ihre Mutter dann abgeholt wird, fleht Erna die SS-Beamten an, ihre Mutter begleiten zu dürfen. Die beiden gelangen nach einer langen Reise auf der Verladungsrampe des Konzentrationslagers Auschwitz und wissen schon bald, dass ihnen hier der Tod droht. Der Arbeitsdienst und die schlechten Bedingungen im Konzentrationslager führen dazu, dass Erna de Vries schwach und krank wird. Bei einer Selektion verlegt man sie in den Todesblock 25, dessen Insassen bereits am nächsten Tag vergast werden sollen. Die 19-jährige Erna wünscht sich nichts sehnlicher, als noch einmal die Sonne zu sehen. Kurz vor dem Abtransport zu den Gaskammern wird ihre Nummer aufgerufen. Sie entgeht dem Tod, weil ihr Vater Christ war. Als letztes Mal sieht sie ihre Mutter noch, die kurze Zeit darauf ermordet wird. Die letzten Worte der Mutter begleiten Erna ihr Leben lang: „Du wirst überleben und erzählen, was man mit uns gemacht hat.“

Wenige Wochen später wird Erna de Vries ins Frauenkonzentrationslager Ravensbrück verlegt, wo sie für die Rüstungsindustrie arbeiten muss. Ab April 1945 wird das KZ Ravensbrück geräumt. Mehrere Tage werden die Gefangenen durch das zerstörte Land getrieben. Erna de Vries ist völlig erschöpft, als sie von alliierten Soldaten auf dem Todesmarsch befreit wird. Nach dem Krieg kommt sie bei Verwandten in Köln unter und lernt dort Josef de Vries kennen. Sie heiraten 1947 und gründen eine Familie im Emsland.

Nach einem kurzen Überblick über Erna de Vries‘ Leben stellten die Schüler viele Fragen. Erna de Vries und Dr. Gander, Leiter der Gedenkstätten Augustaschachte und Gestapokellers in Osnabrück, der Frau de Vries bei solchen Veranstaltungen begleitet, waren beeindruckt von dem Interesse der Schüler. „Meistens schreibe ich die Fragen mit, um sie auszuwerten. Doch nach über 50 Fragen habe ich heute mir keine Notizen mehr gemacht“, berichtete Dr. Gander. So wollten die Schüler wissen, was Erna de Vries heute noch an die damalige Zeit erinnere. Schon bei dem Anblick von Birken müsse sie immer an Birkenau denken. Läge ein kleines Brot am Boden, würde sie immer daran denken, dass das bisschen Brot ihnen damals gefehlt habe. Ihre Tätowierung sei immer ein sichtbares Zeichen an die schrecklichen Geschehnisse wie eine Narbe. Einmal sei sie noch in Auschwitz in den 90er Jahren gewesen, um ihrer Mutter nahe zu sein, deren Asche dort verstreut worden sei. Ihre Ausgrenzung im Nationalsozialismus sei schlimm gewesen, noch heute gehe sie nur dorthin, wo sie eingeladen sei, damit sie nicht das Gefühl des Unerwünschtseins spüre. Es sei wichtig, gegen das Vergessen zu kämpfen, um auch gegen rechte Orientierungen vorzugehen, damit es nicht noch einmal geschehen würde. Die letzten Überlebenden des Holocaust würden immer weniger, darum sei es, wichtig Zuhörer zu Zeitzeugen zu machen. Es sei nicht nur ihre Geschichte, sondern die Geschichte von vielen Millionen Menschen, die nicht mehr leben würden und kein Grab hätten. Sie würde sich für die Schüler wünschen, dass sie „Menschenfreunde“ bleiben. Egal welche Nationalität, Hautfarbe oder Religion ein Mensch habe, es bleibe doch ein Mensch.

Text von Marion Meyer zu Drehle

Bilder:
1. Erna de Vries zeigt ihre eintätowierte Nummer.
2. Erna de Vries und Dr. Gander.
3. Das Publikum.
4. Erna de Vries und die Schülerinnen und Schüler der Oberschule Artland.
5. Erna de Vries mit zwei Schülern, die vor einigen Jahren als Geflüchtete aus Syrien nach Deutschland kamen.
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